Einige Ursachen und Voraussetzungen

dieses Blogs habe ich ja schon benannt. Meine Bekanntschaft zu politischen Häftlingen aus der DDR zum Beispiel. Einiges sei noch zusätzlich angedeutet.

Zunächst meine Jugend, die mich zu absurden und irrsinnig anmutenden Handlungen trieb. E., eine Ausreisewillige aus Halle an der Saale, die neben dem laufenden Antrag auf „Eheschließung mit anschließendem Wohnortswechsel“ nach einer schnelleren Alternative suchte, spielte hierbei ebenso eine Rolle, wie ein Daimler 200/8 mit eingebauter Klappe hinter den Fondsitzen. Der Tank war bei diesem Modell aus dem Jahr 1974 unter dem Kofferraum, was hinter der Rückbank und unter der breiten Hutablage Platz schuf. Halb Eutin wusste schließlich von dieser Klappe („Herwig, bist Du wahnsinnig!“, so mein Mitbewohner, der ehemalige Stasihäftling R.) und zog zwanglos Schlüsse zur Ausreisewilligen aus Halle.

Keine Frage: Die DDR war mein Abenteuerspielplatz. Ein Spielplatz, den es im Westen so nicht mehr gab. Dafür hatte ja der Protest der 68er, den sie auf ihrem Abenteuerspielplatz – den Universitätsstädten – lustvoll veranstaltet hatten, gesorgt. Und ich wollte doch auch in der Revolte leben. Wohin aber konnte mein Protest sich wenden, wenn der offiziös gewordene Westen selbst nur aus Protest bestand? Klar: Gen Osten. Und damit gegen…

Nun, vordergründig war es ein Protest gegen die DDR. Sicherlich. Sodann aber auch gegen meine Lehrer, also gegen den Protest selbst. Gegen den Westen. Dessen 68er Dauer-Protest mit ökonomischer Vollkaskoversorgung hatte uns Jüngere immer wieder „Stromlinienförmigkeit“ vorgeworfen. Ständig hörten wir vorwürfliches Veteranengeschwätz. Ständig traktierte uns das richtige Bewußtsein. Das empfanden wir als ungerecht, es nervte und zwang zur Reaktion. Und da kam die DDR gerade recht. Denn der westdeutsche Dauerprotest gegen „den Kapitalismus“ stand in Bezug auf den real existierenden Sozialismus auf dem Prüfstand; und so mancher westlicher Nonkonformist stellte sich in seiner Haltung zur DDR als Inhaber eines autoritären Charakters heraus. Das kritische Vokabular wendete sich gegen einen selbst. Wenn das nicht Dialektik ist…

Jedenfalls wusste ich schon damals: Hier, liebe 68er, ist eure wunde Flanke! Hier droht der Offenbarungseid. Und auch das wurde zu meinem Antrieb, mich nach Osten zu wenden. Es hat ein bischen gedauert, bis es mir klar wurde. Aber so war es. Niemandem ist geholfen, wenn man die unlauteren, unschönen Motive seines Handelns verschweigt.

Dennoch ist das nicht alles. Denn eigentlich hätte ich als Sohn strikter Wertkonservativer auch das werden müssen, was so viele diffus links empfindenden Westdeutsche mit ähnlicher Sozialisation damals waren: Nachbeter des antiwestlichen Protestes, der eigentlich ein antifamiliärer Protest war.

Aber dagegen stand die Literatur, die ich in meiner Jugend aufsog. Und hierbei stand neben den formalen Argumenten Manns und Kafkas, die mich für eine Ausrichtung ausschließlich nach der „richtgen Gesinnung hin“ so unempfänglich machten, ein Kurzprosawerk im Vordergrund. (Dieses Buch hatte freilich auch eine inhaltliche Komponente.) Und dasselbe Glück wie bei der Bekanntschaft mit jungen Vertretern der DDR-Opposition hatte ich hier, Jahre zuvor. Es war für einen empfänglichen Jugendlichen das richtige Buch zur richtigen Zeit. Und es war als Verfilmung auch der richtige Film zur richtigen Zeit. Literatur bewirkt nichts? Das kann ich für mich nicht bestätigen.

Das sei so angedeutet. Ich möchte noch viel mehr erzählen. Mein nächstes Fixdatum ist der 19.12.1989, eines der am meisten unterschätzten Daten im Vereinigungsprozeß. Kohls Rede vor den Trümmern der Frauenkirche. „Liebe Landsleute!“ usw. Das führt direkt in die Enttäuschungen der beiden Wahlen des Jahres 1990. Erst das Stutzen der Bürgerrechtsbewegung in den Volkskammerwahlen März 1990 auf marginale 3 %. Dann das Scheitern der westdeutschen Grünen bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen im darauf folgenden Herbst.

Aus der Protestbewegung der DDR, ursprünglich vor allem eine Friedens- und Umweltbewegung, war im Lauf des Jahres 1990 in ein rein nationaler, vor allem gesamtdeutscher Taumel geworden. So ist das mit der Dialektik des Protests. Er glaubt sich in der Mehrheit. Er glaubt sich im Fokus der Gegenwart. Aber er ist dann doch nur Vorhut von etwas, dessen Dominanz nicht absehbar war. Und dessen Summenvektor nicht selten dem ursprünglichen Ziel diametral entgegengesetzt ist.

Letztlich galt und gilt das für meinen privaten (?) Protest auch.

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